Das Tribunal Superior de Justicia de la Comunidad Valencia hat am 23. September 2023 eine wichtige Entscheidung getroffen und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zahlreiche Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Diese Fragen betreffen die unionsrechtliche Vereinbarkeit von Abstandsregelungen für private Glücksspielstätten in Spanien und könnten weitreichende Folgen für ähnliche Regelungen in anderen EU-Staaten, insbesondere Deutschland, haben. Der EuGH hat das Verfahren unter dem Aktenzeichen C-719/23 registriert.
Kern der Vorlage: Abstandsvorschriften im Glücksspielsektor
In Spanien existieren strenge Abstandsregelungen für private Glücksspielstätten. So müssen beispielsweise Spielhallen einen Mindestabstand von 500 Metern voneinander einhalten, und private Glücksspieleinrichtungen müssen mindestens 850 Meter von Bildungseinrichtungen entfernt sein. Diese Vorschriften gelten jedoch nur für private Anbieter, während staatliche Glücksspielangebote von diesen Beschränkungen ausgenommen sind. Dies hat das spanische Gericht dazu veranlasst, die Vereinbarkeit dieser Regelungen mit dem EU-Recht in Frage zu stellen.
Zweifel an der Kohärenz der Regelungen
Das spanische Gericht hegt Zweifel, ob die Abstandsregelungen im Einklang mit den Prinzipien der Europäischen Union stehen, insbesondere was die Kohärenz und Verhältnismäßigkeit dieser Vorschriften betrifft.
Es argumentiert, dass bereits umfassende Zugangsbeschränkungen und Kontrollen für private Glücksspielstätten existieren und zusätzliche Abstandsregelungen daher überflüssig sein könnten. Der entscheidende Kritikpunkt des spanischen Gerichts ist, dass diese Abstandsregelungen nur private Anbieter betreffen und staatliche Glücksspielangebote außen vor bleiben.
Dies führe zu einer Wettbewerbsverzerrung, da private Glücksspielanbieter strengen Regelungen unterliegen, während staatliche Monopole von diesen ausgenommen sind. Das Gericht sieht hierin die Gefahr, dass private Anbieter benachteiligt werden und staatliche Glücksspielmonopole gefördert werden.
Verletzung der EU-Grundfreiheiten?
Das Tribunal Superior de Justicia de la Comunidad Valencia stützt seine Vorlage auf mehrere Bestimmungen des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), namentlich die Artikel 26, 49 und 56. Diese Artikel betreffen den freien Dienstleistungsverkehr und die Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU.
Die Abstandsregelungen könnten nach Auffassung des Gerichts die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit privater Glücksspielanbieter in unzulässiger Weise einschränken und somit gegen das EU-Recht verstoßen. Konkret geht es um die Fragen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Regelungen.
Außerdem stellt das Gericht die Frage, ob weniger restriktive Maßnahmen, wie etwa die bereits bestehenden Zugangskontrollen, ausreichen würden, um den angestrebten Schutz zu gewährleisten, ohne private Anbieter unnötig zu benachteiligen. Ein weiterer zentraler Punkt ist die Gleichbehandlung, die durch die einseitigen Beschränkungen für private Anbieter offensichtlich nicht gegeben ist.
Auswirkungen auf Deutschland: Ein Präzedenzfall für deutsche Gerichte?
Das spanische Verfahren könnte auch in Deutschland zu erheblichen Veränderungen führen, sollten die Abstandsregelungen vom EuGH als unvereinbar mit dem Unionsrecht angesehen werden. In vielen deutschen Bundesländern existieren ebenfalls Abstandsregelungen für private Glücksspielanbieter, die ähnlich restriktiv sind wie in Spanien.
Die deutsche Glücksspielbranche, insbesondere Betreiber von Spielhallen und Wettvermittlungsstellen, haben in der Vergangenheit immer wieder versucht, solche Regelungen vor Gericht anzufechten. Allerdings sind die Anträge auf eine Vorlage an den EuGH von den deutschen Verwaltungsgerichten bislang weitgehend abgelehnt worden. Sollte der EuGH die spanischen Abstandsregelungen kippen, wäre dies ein starkes Signal an die deutschen Gerichte, ähnliche Abstandsgebote in den Landesglücksspielgesetzen zu hinterfragen.
Insbesondere könnten landesrechtliche Regelungen, die ausschließlich private Anbieter betreffen und staatliche Glücksspielangebote verschonen, ins Visier geraten. Es wäre nicht unwahrscheinlich, dass dadurch zahlreiche Verwaltungsakte, die sich auf diese Regelungen stützen, infrage gestellt und gegebenenfalls aufgehoben würden.
Fazit: Ein potenzieller Wendepunkt im Glücksspielrecht
Das Vorabentscheidungsverfahren aus Spanien stellt eine potenziell bahnbrechende Entwicklung für den Glücksspielsektor in der EU dar.
Sollten die spanischen Abstandsregelungen für private Glücksspielstätten durch den EuGH für unionsrechtswidrig erklärt werden, könnte dies auch für Deutschland weitreichende Konsequenzen haben. Die deutschen Gerichte könnten gezwungen sein, die Rechtmäßigkeit der Abstandsgebote in den Landesglücksspielgesetzen neu zu bewerten, was zu einer Lockerung oder gar Abschaffung dieser Regelungen führen könnte.
Betreiber von privaten Spielhallen und Wettvermittlungsstellen in Deutschland, die seit Jahren auf eine entsprechende EuGH-Vorlage warten, könnten durch diese Entscheidung neuen rechtlichen Spielraum erhalten.