In zahlreichen Gerichtsverfahren haben Spieler oder gewerblich handelnde Zessionare in den letzten Jahren erfolgreich ihre Spielverluste aus illegalem Online-Glücksspiel zurückgefordert. Diese Rückforderungen beruhen auf einem Verstoß gegen den früheren Glücksspielstaatsvertrag (§ 4 Abs. 4 GlüStV a.F.), der das Angebot von Online-Glücksspielen ohne entsprechende deutsche Lizenz untersagte.
Da die Anbieter solcher illegalen Online-Glücksspiele häufig im Ausland ansässig sind, werden die Ansprüche in der Regel auf die Rückforderung ungerechtfertigter Bereicherungen gestützt, insbesondere auf § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB und § 823 Abs. 2 in Verbindung mit § 4 Abs. 4 GlüStV a.F. sowie § 284 Abs. 1 StGB. Diese rechtlichen Grundlagen ermöglichen es, die Verluste aus nichtigen Verträgen zurückzufordern.
Maltas Reaktion: Schutz der Glücksspielanbieter
Viele Anbieter von Online-Glücksspielen haben ihren Sitz in Malta, einem EU-Mitgliedsstaat, der als wichtiger Standort für die europäische Glücksspielbranche gilt. Angesichts der zunehmenden Zahl von Rückforderungen und gerichtlichen Entscheidungen gegen diese Anbieter sah sich Malta veranlasst, rechtliche Maßnahmen zu ergreifen. Am 12. Juni 2023 verabschiedete das maltesische Parlament eine Gesetzesänderung, die den Schutz der Glücksspielanbieter mit Sitz in Malta stärkt.
Konkret wurde der maltesische Gaming Act (das nationale Glücksspielgesetz) durch die Ergänzung um den neuen Artikel 56A erweitert. Diese Regelung sieht vor, dass keine Klage gegen maltesische Glücksspielanbieter wegen der Bereitstellung von Glücksspieldienstleistungen erhoben werden kann, sofern diese Dienstleistungen nach maltesischem Recht legal sind und die Anbieter über eine maltesische Lizenz verfügen.
Darüber hinaus bestimmt Artikel 56A, dass maltesische Gerichte die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen, die auf Klagen gegen maltesische Glücksspielanbieter basieren, verweigern müssen. Diese Einschränkung wird mit dem Prinzip der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt, wonach das maltesische Recht Vorrang vor Entscheidungen aus anderen EU-Staaten haben soll, wenn diese gegen die maltesische Rechtslage verstoßen.
Widerspruch zu EU-Recht
Als Mitglied der Europäischen Union ist Malta jedoch an die EU-Rechtsakte gebunden, einschließlich der Brüssel Ia-Verordnung (EuGVVO), die die Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsurteilen innerhalb der EU regelt. Nach Artikel 36 und 39 der EuGVVO sind Entscheidungen, die in einem EU-Mitgliedstaat ergangen sind, in allen anderen Mitgliedstaaten grundsätzlich anzuerkennen und zu vollstrecken.
Artikel 56A des maltesischen Gaming Act widerspricht dieser Verordnung, da er die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen systematisch verhindert, sofern sie gegen Glücksspielanbieter mit Sitz in Malta gerichtet sind.
Die EuGVVO sieht zwar vor, dass die Vollstreckung eines Urteils in Ausnahmefällen verweigert werden kann, wenn sie gegen die öffentliche Ordnung des Vollstreckungsstaates verstößt (Artikel 45 Abs. 1 lit. a EuGVVO). Diese Ausnahme ist jedoch sehr eng auszulegen und darf nur in seltenen, extremen Fällen angewendet werden, wenn ein Urteil grundsätzlichen Rechtsprinzipien des betroffenen Staates widerspricht.
Die maltesische Regelung in Artikel 56A betrifft jedoch nicht spezifische Ausnahmefälle, sondern versucht generell, die Vollstreckung von Urteilen gegen Glücksspielanbieter zu verhindern, was gegen die Vorgaben der EuGVVO verstößt.
Konsequenzen des Gesetzes und unionsrechtliche Auseinandersetzungen
Durch die Einführung von Artikel 56A im maltesischen Glücksspielgesetz verstößt Malta gegen die Brüssel Ia-Verordnung. Diese europäische Regelung stellt sicher, dass Urteile, die in einem EU-Mitgliedstaat gefällt wurden, in anderen Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt werden können.
Nationale Gesetze dürfen keine zusätzlichen Hürden oder Ausschlussgründe für die Vollstreckung solcher Urteile festlegen, wie es Malta mit seinem neuen Gesetz versucht. Gemäß Artikel 39 der EuGVVO entscheidet das Recht des Urteilsstaates darüber, wann ein Urteil vollstreckbar ist.
Daher darf ein Mitgliedstaat wie Malta die Vollstreckung nicht mit der Begründung ablehnen, dass sie gegen die nationale Rechtsordnung verstoße. Solche nationalen Regelungen widersprechen dem grundlegenden Prinzip des freien Urteilsverkehrs innerhalb der EU und untergraben die Funktionsweise des europäischen Justizsystems.
Malta könnte durch dieses Gesetz eine Vertragsverletzungsklage nach Artikel 258 AEUV riskieren, da die neue Regelung eindeutig gegen EU-Recht verstößt. Solche Vertragsverletzungsverfahren können von der Europäischen Kommission eingeleitet werden, wenn ein Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen aus den EU-Verträgen verstößt.
In diesem Zusammenhang wurde bereits eine Beschwerde bei der Europäischen Kommission eingereicht, die sich mit der Rechtmäßigkeit von Artikel 56A des maltesischen Glücksspielgesetzes beschäftigt.
Eingeschränkte Anwendbarkeit der öffentlichen Ordnung
Das Prinzip der öffentlichen Ordnung (ordre public) spielt im EU-Recht eine wichtige Rolle, kann jedoch nicht beliebig angewendet werden. Es dient dazu, extremen Fällen vorzubeugen, in denen ausländische Entscheidungen fundamentalen Rechtsprinzipien eines Staates widersprechen.
Im Fall von Glücksspielanbietern, die legal in Malta tätig sind, kann jedoch nicht argumentiert werden, dass ihre Anerkennung und Vollstreckung untragbar wäre. Artikel 56A des maltesischen Gesetzes geht daher über den Ausnahmecharakter des ordre public hinaus und versucht, ein allgemeines Verweigerungsrecht zu etablieren, was gegen den Grundsatz der effektiven Durchsetzung von EU-Recht verstößt.
Fazit
Malta versucht mit Artikel 56A seines Glücksspielgesetzes, die Vollstreckung ausländischer Urteile gegen maltesische Glücksspielanbieter zu verhindern, was jedoch gegen die Brüssel Ia-Verordnung der EU verstößt. Diese Regelung gefährdet den freien Urteilsverkehr innerhalb der EU und könnte zu einem Vertragsverletzungsverfahren führen.
Das Unionsrecht wird sich aller Voraussicht nach durchsetzen, und Maltas Gesetzgebung wird angepasst werden müssen, um den EU-Vorgaben gerecht zu werden. Die Klärung dieser rechtlichen Auseinandersetzung wird in den kommenden Monaten erwartet.